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Channel: Le monde arabe en révolution » Kollektives Drehtagebuch – 1 Jahr danach
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Susanne Sterzenbach: „Frauen haben in dieser Revolution ihre alte Führungsrolle zurückerobert“

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Die Frauen sind im Jemen während der Demonstrationen besonders ins Blickfeld geraten: Tausende waren in den Protestzügen unterwegs, schwarz verschleiert und bodenlang schwarz bekleidet, wie es heute üblich ist im Land. Traditionell trugen die Jemenitinnen bunt bedruckte Umhänge, die man in der Altstadt noch vereinzelt sieht.

Als unverschleiert gilt, wer Kopftuch trägt und sein Gesicht zeigt. Wir lernen sehr unterschiedliche Frauen kennen: Die Karatetrainerin (Kopftuch), die Bankerin (Schleier) und die Flugingenieurin (Kopftuch), die sehr zufrieden sind, mit dem was sie unter der alten Regierung erreicht haben. Sie verehren Präsident Saleh und befürchten, ihre Freiheiten und ihre berufliche Tätigkeit könnten eingeschränkt werden, wenn die Islamisten in Zukunft mehr politische Macht bekommen.

Wir treffen im Zeltdorf der Revolution Nadia, die Geschäftsfrau und Internetexpertin, die politisch unabhängig ist. Sie hat ihrem sehr konservativen Vater die Erlaubnis abgetrotzt, tagsüber im Protestcamp zu arbeiten. Nadia fotografiert, was passiert: Demonstrationen, Polizeiaktionen, Verwundete, Todesopfer und lädt die Bilder dann nachts ins Internet.

Die Journalistin Nabiha lädt uns zu sich nach Hause ein. Bisher hat sie für eine Nachrichtenagentur gearbeitet, aber das Gebäude wurde bei Schießereien weitgehend zerstört. Nabiha lehnt die Demonstrationen ab, aber wünscht sich einen veränderten, moderneren Jemen, in dem sie einen neuen Fernsehsender aufbauen kann.

Die Friedensnobelpreisträgerin Tawakkul Karman, Menschenrechtsaktivistin und Mitglied der islamistischen Al Islah-Partei suchen wir vergeblich in ihrem Zelt bei den Demonstranten. Sie reist durch die USA und Europa, hält Vorträge und wirbt für Unterstützung einer neuen Politik im Jemen und für eine internationale Kommission, die das gewaltsame Vorgehen der alten Regierung unter Präsident Saleh untersuchen soll. Hinter den Kulissen hört man, Twakkul Karman wolle sich von Al Islah lossagen und eine eigene Partei gründen, um den jungen Revolutionären eine politische Heimat zu geben. Wir werden sie schließlich bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin treffen. Eine entschlossene und beredte Frau mit klaren politischen Idealen: Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Gleichberechtigung. Sie sagt: „Die Frauen haben in dieser Revolution ihre alte Führungsrolle zurückerobert. Schließlich hatte der Jemen in der Geschichte zwei Königinnen, Bilquis, die Königin von Saba, und Arwa. Das war die Blütezeit des Landes.“ Und den Frauen, die Angst vor politischer Veränderung haben, antwortet Tawkkul Karman: „Das größte Hindernis für uns Frauen ist die Familie, vor allem in den arabischen Gesellschaften. Wenn wir das überwunden haben, können wir alles erreichen.“

 

 

 


Susanne Sterzenbach
Susanne Sterzenbach studierte an der philologischen Fakultät der Universitäten Mainz und Heidelberg, Fachbereich Diplom-Übersetzer sowie Völkerrecht und Landeskunde. 2001 war sie ARD-Korrespondentin für Nordafrika und Leiterin des Studios Algier. 2004 kehrte sie in die SWR- Zentrale nach Stuttgart zurück, wo sie in der Abteilung Ausland/Europa sowie als Redakteurin für ARD-Feature und „Auslandsreporter“ arbeitet.

 

 

 

 


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